Bethel in Bielefeld: Räume zur Entfaltung schaffen
Viele karitative Einrichtungen, Kliniken und Behindertenwerkstätten tragen „Bethel“ in ihrem Namen. Auch der KLINIK INFO KANAL ist Partner beispielsweise des Evangelischen Klinikums Bethel. Doch wer steht eigentlich hinter dem Namen „Bethel“? Das Porträt eines der größten Sozialunternehmen Europas – im aktuellen KUCK-Magazin!
Der Ursprung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel liegt inmitten der sanften Hügel um die Stadt Bielefeld herum. Ihre Gründung reicht zurück in die bewegte Zeit des 19. Jahrhunderts: Die neu entstandene bürgerliche Gesellschaft prosperierte, während untere Bevölkerungsschichten noch immer in Armut verharrten und nicht vom medizinischen Fortschritt der Zeit profitieren konnten. Behinderte sowie chronisch oder psychisch Erkrankte standen am Rande der Gesellschaft und waren auf die Armenfürsorge angewiesen, die meist von Seiten der Kirche organisiert war. In dieser Zeit, genauer 1867, gründete die Innere Mission der evangelischen Kirche am Rande der Stadt Bielefeld ein Pflegehaus für epilepsiekranke Jungen und Männer: Bethel, benannt nach dem biblischen Ort Bet-El (Gen 28,16–19), der in der hebräischen Sprache „Haus Gottes“ bedeutet.
Das „Haus Gottes“ wächst
Was klein mit 20 Pflegeplätzen auf einem umgebauten Bauernhof anfing, wuchs unter der Leitung des Pfarrers Friedrich von Bodelschwingh d. Ä. (1831–1910) schnell zu einem bedeutenden Zentrum heran: Bald wurden in Bethel nicht mehr nur Epilepsiekranke betreut – es entstanden auch Heimstätten, die der allgemeinen Krankenpflege dienten, zahlreiche Hilfsangebote für arbeits- und obdachlose Menschen, für psychisch Erkrankte, Suchtkranke und Jugendliche. 1905 gehörten bereits 40 Häuser zu den v. Bodelschwinghschen Stiftungen, die längst die Bielefelder Stadtgrenze überschritten hatten und in der weiteren Region und sogar in Berlin angesiedelt waren. An die Heime angeschlossen waren eigene Wohnstätten für Familien, zahlreiche eigene Betriebe wie Bäckereien oder Tischlereien, sowie Ländereien und Hausgärten, die eine Selbstversorgung der Wohlfahrtsiedlungen ermöglichten.
Für die Pflege der Armen und Kranken ließen sich schon kurz nach Gründung des Heims Diakonissen in Bielefeld nieder. Damals waren diese Frauen, die sich für die Lebens-, Glaubens- und Dienstgemeinschaft der Diakonissen entschieden hatten, noch zu Ehelosigkeit verpflichtet und trugen eine eigene Tracht. Im Zuge des Ausbaus der Bethel‘schen Wohnstätten entstanden gleich mehrere große diakonische Gemeinschaften, darunter auch Bruderschaften mit diakonischen Brüdern, die teilweise noch in der Gegenwart für Bethel tätig sind.
Bethel in der Gegenwart
Heute ist Bethel eines der größten diakonischen Sozialunternehmen in Europa und größter Arbeitgeber der Stadt Bielefeld. Das Netzwerk der fünf rechtlich selbstständigen kirchlichen Stiftungen umfasst deutschlandweit mittlerweile um die 300 Standorte, an denen rund 24.000 Mitarbeitende beschäftigt sind. Sie sind tagtäglich im Einsatz für die Idee, behinderten, kranken, alten oder benachteiligten Menschen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben innerhalb einer Gemeinschaft zu ermöglichen, sie medizinisch-pflegerisch zu versorgen, ihnen Orientierung und Lebensraum zu bieten. Das Konzept hinter Bethel fußt heute wie damals auf der gleichen Vision: „das selbstverständliche Zusammenleben, das gemeinsame Lernen und Arbeiten aller Menschen in ihrer Verschiedenheit“.
Ein eigener Mikrokosmos
Der Vision Bethels entsprechend stand schon früh der Gedanke im Mittelpunkt, den Kranken und Behinderten nicht nur pflegerisch zur Seite zu stehen, sondern ihnen ein weitgehend „normales“ Leben zu ermöglichen. Dazu gehörte schon seit den Zeiten Friedrich von Bodelschwinghs, den individuellen Fähigkeiten entsprechend sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. So entstanden schon früh spezielle Arbeitswerkstätten für beeinträchtigte Menschen. Hier konnte jeder, seinen Möglichkeiten und seinem Tempo entsprechend, einen sinnvollen Beitrag für die Gemeinschaft leisten, ein Teil von ihr sein und sich angenommen fühlen – ein Prinzip, das bis heute in zahlreichen Werkstätten für behinderte Menschen, auch anderer Trägerschaften, mit Erfolg umgesetzt wird. Die einzelnen Heime hatten daher schon früh den Charakter eigener kleiner Siedlungen, in denen – gleich einem Mikrokosmos – vielfältige Bereiche angesiedelt waren: eigene Handwerksbetriebe, Wäschereien, Küchen, aber auch landwirtschaftliche Betriebe, die mithilfe zahlreicher helfender Hände Lebensmittel für den eigenen und Fremdbedarf anbauten.
Individuelle Entfaltung innerhalb der eigenen Möglichkeiten und darüber hinaus
Schaut man sich den Internetauftritt der v. Bodelschwinghschen Stiftungen an, gewinnt der aufmerksame Leser schnell den Eindruck, in ein Kaleidoskop an Lebenswelten zu blicken: Der Bethel‘sche Mikrokosmos ist vielfältig, bietet Raum für unzählige Beschäftigungen und ermöglicht beeinträchtigten Menschen, ein weitgehend normales Leben zu führen – wie andere Menschen auch. Das entspricht dem in den 1950er-Jahren entwickelten „Normalisierungsprinzip“, nach dem angestrebt werden sollte, das Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen in allen Phasen so normal wie möglich zu gestalten. Jeder soll sich entfalten dürfen – innerhalb der eigenen Möglichkeiten und darüber hinaus.
So finden sich in den „Geschichten aus Bethel“ nicht nur Porträts über vielfältige Persönlichkeiten, sondern auch über unterschiedlichste Projekte – angefangen von dem Secondhand-Laden „Brockensammlung“ („Sammelt die übrigen Brocken, auf dass nichts umkomme“, Joh. 6,12), über die Pop- und Rockband „Rocketstars“, das inklusive Bethel-Hotel in Bad Neuenahr-Ahrweiler, bis hin zu Theaterwerkstätten, in denen Menschen mit verschiedensten Voraussetzungen künstlerisch wirken und sich entfalten können. Alle diese Projekte dienen dazu, den einzelnen Menschen in seiner Individualität zu fördern und ihm Entfaltungsraum zu bieten, der eigene Grenzen respektiert und gleichzeitig dazu einlädt, diese zu überwinden.
Werfen Sie doch mal einen Blick in das Bethel-Kaleidoskop, das wir Ihnen zusammengestellt haben. Sie finden den vollständigen Beitrag samt der "Geschichten aus Bethel" im aktuellen KUCK-Magazin 59 auf den Seiten 6–12. Sie können ihn hier direkt herunterladen.