„Ein Fest ist wie ein Neustart”

Warum feiern wir eigentlich Feste? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Ausstellung „FESTE FEIERN!“ im Hamburger „Museum für Kunst und Gewerbe“. Die Redaktion des KUCK-Magazins hat sich mit der Kuratorin Dr. Manuela van Rossem unterhalten und viel Spannendes erfahren …

© Henning Rogge
Die Ausstellung "Feste feiern!" im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe © Henning Rogge

Guten Morgen, Frau Dr. van Rossem! Sie sind Kuratorin der Ausstellung „Feste feiern“ im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Ich saß kurz vor Weihnachten zu Hause und habe auf Deutschlandradio Kultur eine Buchrezension von „Das Buch der Feste“ gehört. Da dachte ich mir: Ja, warum feiern wir eigentlich Feste? Ich habe mir das Buch dann sofort geholt und hoffte darin eine Analyse zu finden, was der Ursprung davon ist und was sozusagen der Kern des Ganzen ist, hab das darin allerdings nicht wirklich gefunden. Das hat mich herausgefordert, sodass ich da weitergegraben habe. Tja, und dann kam Corona. Und das war für uns letztendlich der absolute Booster, weil wir in dieser Zeit gemerkt haben: Okay, es gibt Ausgangssperren, keiner darf sich mehr treffen, alles findet nur noch online statt. Die Leute sind in dieser Zeit unfassbar vereinsamt. Das Eindrücklichste aber war tatsächlich, dass die Abifeier meines Sohnes nicht stattfinden konnte. Wir haben sozusagen am eigenen Leib erfahren, dass da was fehlt, das unwiederbringlich ist. Eine Abifeier ist ja im Grunde so etwas wie ein Initiationsritus ins Erwachsenenleben: Die Schule ist vorbei, man ist am Scheideweg und will eine Sache abschließen. Da gehört ein Fest einfach dazu, um sich hinterher neu orientieren zu können. Und das hat komplett gefehlt. Das ging uns übrigens allen im Team so. Alle haben bei sich selbst gemerkt, dass dieses Bedürfnis zu feiern unglaublich stark ist. Aber keiner konnte so richtig erklären, warum und woher das kommt. So sind wir zu der Kernfrage gekommen: „Warum feiern wir?“ Wir haben uns gefragt, was ist so wichtig daran und welche Elemente braucht es dafür? Uns haben vor allem diese übergeordneten Fragen, die Meta-Ebene, interessiert, gar nicht so sehr die einzelnen Feste oder das Brauchtum. Da könnte man natürlich auch einsteigen, aber das war mit den Geldern, die wir zur Verfügung hatten, schlicht und ergreifend nicht leistbar. Am Ende ist das Geld in der Kultur für Ausstellungen einfach sehr rar und man muss gut haushalten. Daher gibt es übrigens auch keinen Katalog zur Ausstellung.

© Lisa Marie Ehrhardt
Die Ausstellung ist noch bis zum 19. Januar 2025 anzusehen. © Lisa Marie Ehrhardt

… aber Sie haben einen Dokumentarfilm produziert, der die heutige Feierkultur vorstellt …

Genau! Dazu muss ich aber sagen, dass auch der Film ein sehr schmales Budget hatte. Der konnte nur gemacht werden, weil ich einen Filmemacher hatte, der von der Idee und dem Thema so begeistert war, dass er tatsächlich gesagt hat: „Okay, lass uns das machen, aber nur das ganz kleine Besteck.“ Wir hatten tatsächlich gerade mal eine Kamera und weder Licht- noch Ton-Assistenten und haben das wirklich mit Minimal- Budget gemacht. Was sich am Ende allerdings als Glücksfall herausstellte. Wir waren mit der Handkamera mitten im Geschehen und die Leute haben nach kurzer Zeit komplett vergessen, dass da jemand ist, der filmt.

© dschungelfilm / Martin D'Costa
Szene vom Kölner Karneval, aus dem Film zur Ausstellung "Feste feiern!" © dschungelfilm / Martin D'Costa

Sie stellen in dem Film acht verschiedene Feier-Anlässe näher vor, unter anderem den Kölner Karneval, das Wacken- Open-Air, das Oktoberfest, aber auch eine aramäische Hochzeit, eine Trauerfeier und ein traditionelles Dorffest. Gab es Gründe, warum Sie sich gerade für diese Anlässe entschieden haben?

Wir wollten zunächst einmal ein ganzes Jahr abbilden, damit man merkt, dass sich diese Feste tatsächlich durch das ganze Jahr ziehen. Sie strukturieren es sozusagen. Das heißt, die Leute fiebern darauf hin. Das erklärt zum Beispiel der Münchner Oberbürgermeister im Film: Einige sparen tatsächlich das ganze Jahr darauf, dass sie sich mehrere Besuche auf dem Oktoberfest leisten können. Andersrum war uns wichtig, dass wir Menschen finden, die aktiv an diesen Festen mitarbeiten, also beispielsweise diese Wagenbauer-Familie in Köln. Das ist sehr erstaunlich: Da sind ganze Generationen beteiligt. Schon der Großvater hat Wagen gebaut, dann der Vater und die Mutter und irgendwann geht das an den Sohn oder die Tochter über. Über diese Tätigkeit des Wagenbauens definiert sich die ganze Familie. Die arbeiten das ganze Jahr daran, bis alles an Karneval seinen Höhepunkt findet. Und wie man sagt: „Nach dem Karneval ist vor dem Karneval“. Es gibt bei diesen Menschen quasi keine Übersättigung. Sie schaffen es immer wieder, sich neu zu motivieren. Darüber hinaus haben diese Feste ja auch immer eine wichtige gesellschaftliche Funktion, weil sie schließlich auch Gewinne generieren. In Köln trainieren Tanzgruppen das ganze Jahr über für Karneval. Wenn wir feiern, gehören bestimmte „Elemente“ immer irgendwie dazu: zum Beispiel Musik, Tanz, Essen, manchmal auch Feuerwerk und Prozessionen. Warum ist das so? Prozessionen sind nicht nur manchmal dabei, sondern immer! Basierend auf der Antike gibt es ja tatsächlich diese vier Elemente Prozession, Ritual, Essen und Trinken sowie den Wettkampf. Sie charakterisieren jedes Fest und machen es zu einem Fest. Also, eine Prozession gibt es immer, egal in welcher Form. Das können Sie tatsächlich durch sämtliche, auch zeitgenössische Feste durchdeklinieren. Eine Prozession dient der Vorbereitung, also sich gedanklich und emotional auf dieses Fest einzustellen. Es braucht immer so etwas wie eine Art Hinführung, die man bei allen Festen sieht, von der Antike bis heute. Jede Hochzeit hat einen wie auch immer gearteten Festzug, Trauerfeiern ebenfalls: einen klaren Beginn mit einem Zug und einem offiziellen Startschuss, und dann folgt eben dieses Feiern, das gemeinsame Essen und Trinken. Sogar bei der Eröffnung des Oktoberfests gibt es das: Da rennen die Leute los auf das Gelände und streben sternförmig in München auf dieses Festgelände zu. Das sind ja Hunderttausende, die da in der Schlange stehen, lange bevor das Fest öffnet. Und dann rennen die los. Warum sie rennen, weiß kein Mensch … (lacht) Es gibt ja mehr als genug Platz. Ich glaube eher, da sammelt man sich und dann ist es Teil der Vorfreude, loszulaufen. Das gehört einfach dazu, genauso wie die eigentliche Prozession beim Oktoberfest: der feierliche Einzug des OB's in Begleitung einer Musikkapelle in das Festzelt, in dem dann durch das Ritual des Fassanstichs das Fest eröffnet wird. Erst dann darf Alkohol ausgeschenkt werden. Was übrigens eine Feier von einem Fest unterscheidet, ist, dass ein Fest immer noch eine Art Wettkampf enthält. Man misst sich, auf irgendeine Weise – das muss kein sportliches Messen sein, sondern eher ein spielerisches Element und das hat man in München auf der Wiesn ja immer mit diesem Teufelsrad, wie im Film gezeigt. Das hat etwas extrem Archaisches. Die Leute stehen da und grölen und freuen sich, wenn die Mädels, und später auch gemischte Paare, durch die Gegend fliegen, weil die Fliehkraft irgendwann zu groß wird und sie von diesem Rad herunter an die Bande geschleudert werden. Das ist ein riesen Spaß (lacht). Ich glaube, man braucht in bestimmten Abständen etwas, bei dem man sich wirklich komplett gehen lassen kann, bei dem man diesen ganzen Druck und Frust loswird und seine Sorgen und Nöte für eine bestimmte Zeit einfach mal zu Hause lassen kann. Das ist wie ein Neustart: Danach kann ich mich wieder dem Alltag und neuen Herausforderungen stellen. Dafür sind Feste unheimlich wichtig: dass sie den Freiraum bieten, in eine andere Rolle zu schlüpfen, sich neu zu erfinden und sich neu zu verorten. Das gilt sowohl für den Einzelnen als auch für eine ganze Gemeinschaft. Da bleibt hinterher immer ein ganz großes Gefühl zurück, obwohl alle wieder auseinandergehen.

Neugierig geworden? Lesen Sie das gesamte Interview im aktuellen KUCK 60 auf den Seiten 30–38. Sie können es hier direkt herunterladen.
Der im Rahmen der Ausstellung entstandene Film "Wie wir feiern – 8 dokumentarische Episoden über unsere Fest- und Feierkultur" ist seit Herbst im Programm von KIK-TV zu sehen.