„Filme sollen zum Nachfragen und Nachdenken führen“

Was macht eigentlich einen guten Film aus? Diese und andere Fragen hat die KUCK-Redaktion Medienpädagoge Friedemann Schuchardt gestellt. Und dabei viel erfahren darüber, wie wichtig ein bewusster Umgang mit Medien ist – vor allem im Hinblick auf unsere Kinder …  

© moodboard / stock.adobe.com
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Medien sind im Alltag omnipräsent: Morgens liest man Nachrichten im Smartphone, auf dem Weg zur Arbeit wird der neueste Podcast gehört, zwischendurch neue Trends auf Social Media gecheckt und abends schaltet man zu guter Letzt noch den Fernseher ein. So oder so ähnlich schaut die Realität vieler Menschen aus. Medienkonsum prägt unsere Gesellschaft und mit ihm auch die Themen und der Ton, die dort gesetzt werden. Das KUCK ist der Frage nachgegangen, wie die Inhalte der Medien sowie deren Entwicklung unsere Gesellschaft beeinflussen. Welche Rolle spielen Smartphone, Filme und Videos gerade bei Kindern? Und inwiefern ist es möglich, eine gute Medienkultur aufrechtzuerhalten? KUCK hat mit dem Jugendschutzbeauftragten von KIK-TV gesprochen, der seinerzeit ein Pionier im Bereich der Medienpädagogik war: Friedemann Schuchardt.

Herr Schuchardt, können Sie uns einen Einblick in die Geschichte der audiovisuellen Medien geben? Was hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert?

Was sich auf jeden Fall verändert hat, ist die Vielzahl an Medienträgern. In den 70er-Jahren war das Fernsehen das dominante Medium. Wenn sie heute den normalen Jugendlichen nach dem Fernsehprogramm fragen, dann weiß er schon fast gar nicht mehr, was das ist. Der Unterschied zu der Thematik von vor weit über 50 Jahren liegt zudem darin, dass jeder nun sein eigener Intendant ist. Sie sind inzwischen völlig unabhängig von Zeiten oder von Programmmachern. Und damit verbunden schaut man sich nicht mehr wie damals im Kino einen Film von A bis Z an. Im Kino konnte man noch maximal den Saal verlassen. Bereits bei der Videokassette konnte man ganz schnell vor- und zurückspulen. Bei der DVD ging das noch einfacher und so konnte man sich am Wochenende locker einige DVDs mit Freunden reinziehen. Heute ist die Ungeduld noch ausgeprägter. Die Sekundenzahl, die sich ein Heranwachsender noch konzentrieren kann, ist minimal geworden. Diese Entwicklungen kennen natürlich auch die Fernsehsender. Die wissen, dass in ein paar Jahren die traditionelle Form des Medienkonsums vorbei ist und bauen daher ihre Mediatheken aus, damit die Nutzer ihre Sendung dann sehen können, wann sie wollen und nicht, wann sie ausgestrahlt wird. Das heißt, Sie sind nicht mehr vom Programm abhängig, sondern machen sich Ihre eigene Medienwelt.

© FriJus GmbH
Kinderfilm "Der Besuch" © FriJus GmbH

Wenn man die Altersfreigaben von Filmen über die letzten Jahrzehnte anschaut, erweckt es den Eindruck, dass eine Verschiebung stattgefunden hat. Gefühlt wurden früher gewisse Filme später freigegeben als heute. Ist diese Entwicklung real?

Die FSK ist ein Instrument, das anstelle von staatlicher Zensur nach dem Zweiten Weltkrieg und den Faschismus- Erfahrungen einberufen wurde. Die Film-Selbstkontrolle sitzt in Wiesbaden. Diese besteht, was die Prüfer angeht, aus der sogenannten öffentlichen Hand, also z. B. Vertreter von einem Landesjugendamt etc. Diese Personen werden von den jeweiligen Bundesländern berufen. Die andere Hälfte stammt aus der Filmwirtschaft. Das heißt, die Filmwirtschaft beruft Personen, von denen sie glaubt, dass sie nicht ganz so streng bzw. zugunsten der Filmwirtschaft draufschauen. Das ist wie gesagt pari pari und entscheidend sind dann sozusagen die Jugendschutzbeauftragten, die festangestellt in der Filmselbstkontrolle in Wiesbaden sitzen. Ob sich etwas verändert, ist immer sehr subjektiv. Es gibt ja auch positive Veränderungen, die passieren aber in Regel seltener. Ich war selbst auch sechs Jahre in der FSK. Und wenn Sie mich fragen, dann ist meine klare Antwort: Ja, es hat sich verändert, im Kontext einer gesellschaftlichen Veränderung. Nehmen Sie jetzt mal das Beispiel Nacktdarstellungen. Im Jahre 1950 war das im Kino DER Skandal, wenn Sie nur ein bisschen nackten Busen gesehen haben. Heute ist das praktisch Kleinkindprogramm. Zudem prägt das Umfeld die Entscheidungen der Entscheider. Ich stand früher oft alleine da, wenn ich sagte: Nee, das ist nicht FSK 6. Darüber hinaus hat die Filmwirtschaft natürlich Interesse daran, dass bereits quasi der Säugling mit hineingezogen wird. Denn, in der Filmindustrie spielt Geld eine große Rolle. Wenn also die Industrie Angst hat, dass es kein FSK 6 werden könnte, setzen sie alles dran, dass es eine FSK 6 wird.

Friedemann Schuchardt © privat

Was macht einen guten Film aus?

Wenn ich an Kinder und Heranwachsende denke, einige Kinder und Enkelkinder habe ich ja auch, dann sollten die Filme auf Augenhöhe derer sein, an die sie sich richten. Das heißt Geschichten erzählen, die die Lebenswirklichkeit von Kindern berühren. Filme sollen in der Lage sein, gesellschaftliche Dinge aufzugreifen, ohne Kinder zu überfordern. Ich denke manchmal, dass bei zu vielen Kinderfilmen das Thema Tod thematisiert wird. Oft kommt der Vater als Pilot ums Leben oder beide Elternteile sterben durch einen Autounfall. Man sollte bei Kindern die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht ausblenden, aber man darf sie auch nicht überfordern. Zudem darf die Thematik für das Kind nicht zu viel sein. Wenn es z. B. ständig Überraschungsmomente erlebt, welches das Kind in eine Schockstarre bringt, dann halte ich das für ganz problematisch. Und alles, was in Richtung Gewalt geht, muss natürlich sehr genau angeschaut werden. Gewalt kann ich in einem Kontext altersgerecht zeigen. Kontext heißt, es muss deutlich werden, warum plötzlich Gewalt auftaucht. Bei all den schrecklichen Animationsfilmen passiert es oft, dass einfach jemand einem anderen den Hammer auf den Kopf haut. Ohne jegliche Verbindung, was eigentlich der Grund ist. Hier wünschte ich mir, dass auch im Bereich für Heranwachsende das Ganze sensibler betrachtet und dargestellt wird. Was die Machart angeht: Ein Film hat Gestaltungsmittel. Das ist etwas, was ich in meiner Arbeit bei Fortbildungen oder Ausbildungen von Erzieherinnen immer wieder versucht habe, deutlich werden zu lassen. Das Bild, der Ton und der Schnitt spielen eine ganz wichtige Rolle, auch im Blick auf die Wirkung. Das heißt, Filme, die diese Gestaltungsmittel auch wirklich ernst nehmen, wären für mich gute Filme. Es gibt für Kinder und Heranwachsende im Prinzip viel zu wenige Produktionen, die in das Herz der Kinder und somit auch in gewisser Weise in das Hirn der Kinder eindringen, dass sie mal nachdenklich werden. Und sich nicht nur die Sachen reinziehen und abhaken. Filme sollen zum Nachfragen und Nachdenken führen.

© FriJus GmbH
Kinderfilm "Operation Arktis" © FriJus GmbH

Der Umgang mit Medien im Allgemeinen ist gerade für Eltern mit Kindern und Jugendlichen eine große Herausforderung. Wie schafft man es, eine gute Medienkultur zu etablieren?

Tja, wenn es so einfache Regeln gäbe ... Es gibt immer noch die gleiche Regel, die ich in den 70er- Jahren bei Seminaren gebraucht habe, und die lautet: Sie können alles vergessen, wenn Sie sich als Eltern, Tanten, Großmutter etc. nicht selber in die Disziplin nehmen. Ein Kind hat das Imitationsverhalten. Deswegen telefonieren Kinder bereits mit Bauklötzen, obwohl sie noch nicht mal richtig laufen können. Das ist das Imitationsverhalten. So, wie sich die Eltern verhalten, das lässt sich leider nicht anders sagen, so verhält sich auch das Kind. Und ich rede im Augenblick von Neugeborenen. Wenn Neugeborene das Leben im Prinzip nur noch digital mitbekommen. Ich nenne Ihnen mal die Situation: Das Kind ist kaum auf der Welt, schon wird es mit einem Tablet oder sonst einem Medium fotografiert. Es hat gar keine andere Chance. Es sieht als Erstes die Linse. Natürlich kann das Kind in dem Sinne noch nicht sehen, aber es geht ja so weiter: Das Kind liegt im Kinderwagen und wichtiger ist inzwischen, dass man das Kind fotografiert, als dass man es selber anschaut. Also, die Voraussetzung einer guten Medienkultur ist, dass das Kind erst mal in einer Umgebung groß wird, in welcher es selbst das Wichtigste ist. Und nicht das Zweitwichtigste. Ich sag Ihnen das jetzt mal ganz brutal: Wenn Mütter oder Väter mit dem Kind auf dem Feld spazieren gehen und das erwachsene Wesen schaut dabei nur aufs Handy – das ist die Zweitrangigkeit. Man muss sich vorstellen: Das Kind erlebt ja, das Medium, dieses Ding da, ist wichtiger als ich. Mal telefonieren ist dabei nicht das Thema.

Also was kann man tun? Die eigene Haltung als Erwachsener infrage stellen. Und da kommt etwas, das sehr stark in den Erziehungsbereich hineinspielt: Ich muss aushalten, wenn mein Kind mich vermeintlich nicht mehr liebt, wenn es jammert: „Aber alle anderen Kinder dürfen, nur ich nicht ...“ Ich erkläre dabei dem Kind nochmals, warum ich dieses oder jenes nicht möchte. Dabei muss man aushalten, dass ein Kind unheimlich wütend auf einen ist. Und zwar jeden Tag aufs Neue. Dieses Erziehungsverhalten, was völlig unabhängig vom Multimediabereich ist, ist für mich im Übrigen eines der ganz großen Probleme. Man sieht Erziehung nicht mehr als eine Form von notwendiger Auseinandersetzung, um dem Kind zu ermöglichen, ein Erwachsener zu werden. Sondern durch das „Ach, ich hab dich so lieb“ und „Du bist meine Prinzessin“ versucht man, jedem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Aber: Erziehung ist auch Konflikt. Seien Sie konfliktfreudig und argumentationsfreudig! Stehen Sie im Dialog.

Und dann ist da noch das Thema Medienzeit. Eltern müssen genau kommunizieren, dass ihre Kinder eine Medienzeit von sagen wir xy Minuten haben. Meine Enkel zum Beispiel sind mit solchen Medienzeiten, die auch kontrolliert werden, groß geworden. Deswegen sind meine Enkel von ihren Eltern nicht immer begeistert. Aber genau das ist Erziehung: In der Lage zu sein, dem Kind etwas zu verbieten, bei dem es später sagt: „Es ist gut, dass du in diesem Punkt so streng warst.“

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Kinderfilm "Wanda Walfisch" © FriJus GmbH

Neugierig geworden? Der vollständige Beitrag samt Interview ist nachzulesen im KUCK-Magazin Ausgabe 57 oder kann hier direkt heruntergeladen werden.