„Verbringen Sie keine Zeit mit sinnlosem Zeug!“

Resilienz bedeutet „psychische Widerstandskraft“ und soll die Voraussetzung dafür sein, wie gut wir mit Krisen umgehen können. Doch was genau macht uns resilient? Die KUCK-Redaktion hat sich über dieses Thema mit Dr. med. Christian Peter Dogs unterhalten ...

© fotomaster / stock.adobe.com
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Dr. med. Christian Peter Dogs ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Buchautor des Spiegel-Bestsellers „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“. Da er selbst keine gute Kindheit hatte, kann er auch in privater Hinsicht die Bedeutung von Resilienz gut beurteilen …

Lieber Herr Dogs, Sie haben eine bewegte Kindheit hinter sich. Sie sind jahrelang körperlich missbraucht worden und wurden danach heroinsüchtig. Wie kann man nach so einer Kindheit und Jugend zu einem resilienten Menschen werden?

Also, ich würde es umgekehrt sagen: Dadurch bin ich zu einem resilienten Menschen geworden (lacht). Und die wichtigste Zeit haben Sie ausgelassen: Mit zehn Jahren kam ich in ein Heim für schwer erziehbare Kinder. Das war das beste Resilienztraining, weil man sich jeden Tag behaupten musste. Im Heim waren nur Jungs: Manche waren vorbestraft, andere haben andere Störungen gehabt. Ja, das waren fünf Jahre Lebenstraining. Und ich bin der Meinung, dass man durch Krisen wachsen kann.

Sie haben Ihre eigenen Lebenskrisen und -traumata genutzt, um mit dieser Erfahrung anderen zu helfen. Also ist es grundsätzlich möglich, solche Krisen umzukehren und sich sozusagen zu Nutze zu machen …

Also, ob es prinzipiell geht, weiß ich nicht, aber es geht auf jeden Fall dann, wenn man es überlebt. Wenn man Traumata gut bewältigt, kann man anderen natürlich besser helfen, weil man authentischer ist. Sie werden als Therapeut nicht ernst genommen, wenn Sie aus der Porzellan-Kiste kommen. Bei mir war das z. B. bei den Suchtpatienten so. Die haben gemerkt, dass ich weiß, wovon ich rede, auch wenn es um Entzug ging. Und andere haben gemerkt, dass ich weiß, wie es auf der Straße zugeht, weil ich als Müllmann gearbeitet habe und ähnliche Dinge. Das hat geholfen. Ich würde sagen, meine beste Ausbildung als Psychiater hat auf der Straße stattgefunden.

Wann oder ab wann gilt man als resilient?

(lacht) Das ist schwierig. Ich würde sagen: Resilient sind diejenigen Menschen, die es schaffen, mit den Herausforderungen des heutigen Lebens gut klarzukommen. Obwohl wir wirklich sagen müssen, dass die Herausforderungen heute, meiner Ansicht nach, viel geringer sind als früher. Ich bin der Meinung, die Resilienz der Gesellschaft hat sich verändert.

Resilienz ist irgendwie auch ein Modebegriff geworden. Waren frühere Generationen „resilienter“? Konnte man ihnen mehr zumuten? Oder ist es ganz einfach der heutige Zeitgeist, alles offen zu thematisieren und sich um sich selbst zu drehen?

Um 1920 gab es einen Neurologen Binswanger, der hat damals schon von den sogenannten „Furchtmenschen“ gesprochen. Daraufhin habe sich der „mutige Mensch“ entwickelt. Was schlussendlich dann auch in den Ersten und Zweiten Weltkrieg geführt hat. Das Thema war also schon einmal da.

Ich denke, dass die Resilienz meiner Generation höher ist, weil wir in katastrophalen Zeiten aufgewachsen sind. Denn meiner Ansicht nach hängt Resilienz auch damit zusammen, dass Menschen nicht krisentrainiert sind. Die Generation, die wir jetzt haben, hat wenig Krisen mitbekommen und ist meiner Ansicht nach ziemlich verwöhnt und beschützt aufgewachsen. Das ist nicht unbedingt ein Vorteil. Was ich jetzt in meiner Praxis sehe, ist, dass die jüngere Generation viel weniger konfliktresistent ist, also nicht gewohnt ist, Konflikte auszuhalten. Heute ist zum Beispiel eine Trennung keine „Trennung“ oder „Scheidung“ mehr, sondern gleich ein „Trennungstrauma“. Also, da hat sich die Reizschwelle schon ziemlich nach oben verschoben. Das erlebe ich jeden Tag auch in der Praxis. Man meint, bei jedem Kind müsse man gleich einen Therapeuten heranziehen. Das ist nicht gut.

© Anita Affentranger / Zürich

Der Mensch muss heute vor allem gut funktionieren, etwas leisten, um irgendwie ins System zu passen. Kann die Frage rund um die Resilienz auch einfach eine Bewertungsfrage sein? Also ist das Einteilen in resilient und nicht-resilient nicht automatisch auch Teil des Problems?

Das ist eine Frage, die häufig gestellt wird, wenn man ein Bewerbungsgespräch hat: wie belastbar man ist. Und ich meine, das ist eine Frage, die kann man eigentlich vergessen. Keiner wird bei einem Bewerbungsgespräch sagen, dass er nicht belastbar sei. Und es ist auch immer die Frage, in welchen Bereichen man belastbar ist. Es gibt Leute, die sind im Arbeitsbereich hoch belastbar aber im privaten Bereich überhaupt nicht. Meiner Ansicht nach hängt beides zusammen: Wenn sie eine gute private Situation haben, dann haben sie auch eine hohe Resilienz in anderen Bereichen. Aber bei Leuten z. B. mit Burnout sehe ich, dass es immer eine Kombination aus beiden Bereichen ist. Ich hab noch nie jemanden ausbrennen sehen, der privat wirklich gut abgefedert war. Wenn jemand privat nicht abgefedert ist, was ja häufig der Fall ist, dann leidet die Arbeit und die private Situation mit. Diese Menschen haben dann überhaupt keine Reserven mehr. Dagegen: Wenn sie beispielsweise verliebt sind, kann ihnen die Arbeit gar nichts anhaben. Sie müssen sich eher darauf konzentrieren, dass sie überhaupt noch hingehen. Resilienz ist nicht nur einfach eine Frage der Persönlichkeit, sondern auch eine der eigenen Lebenssituation. Und wenn ich eine positive Lebenssituation habe, dann bin ich auch resilient.

Wir verbringen Stunden vor dem Handy, dem Computer oder Fernseher. Wir sind täglich einer Informations- und Reizflut ausgesetzt. In einem Vortrag sagten Sie einmal, dass wir die Fähigkeit verloren haben, Pausen zu machen und aus dem Fenster zu schauen. Haben wir verlernt, die Stille auszuhalten?

Das haben wir ganz sicher verlernt. Und ich muss Ihnen widersprechen. Wir sind nicht der Informationsflut ausgesetzt, wir setzen uns ihr selbst aus. Man muss wirklich lernen: Wenn man den ganzen Tag Reizüberflutung hat, braucht man abends Reizarmut. Und was ich meinen Patienten beizubringen versuche, ist, dass sie radikal mit Reizarmut gegensteuern. Das heißt zum Beispiel, am Wochenende eben mal kein Handy, keinen Laptop zu benutzen. Oder abends, wenn man nach Hause kommt, die Stille zu genießen. Ich bin übrigens auch ein großer Fan von Langeweile. Ich liebe Langeweile. Wenn ich den Unternehmern, die ich betreue, Langeweile verschreibe, dann flippen die allerdings ziemlich aus. Ich gehe mit ihnen in die Firmen rein, weil ich mir anschauen möchte, was sie dort machen. Und dann streich ich ihnen manchmal jeden zweiten Termin raus. In der halben Stunde Leerzeit, die dadurch entsteht, dürfen sie nichts machen. Die sind oft kurz davor, mich umzubringen. Die kratzen am Schreibtisch! Das hält heutzutage keiner mehr aus. Wir sind es einfach so gewohnt, uns die ganze Zeit zu überfluten. Und wir müssen uns klarmachen: Das Hirn hält das nicht aus. Unser Hirn ist von der Entwicklung her dafür nicht gemacht. Und deswegen brauchen wir Stille. Wir brauchen Stille und Langeweile. Aber wer kann das noch ...

Wo halten Sie die Stille am besten aus?

Im Wald. Und auf dem See. Aber am meisten ziehe ich mich in mich selber zurück. Ganz einfach. Das ist etwas, was man nur allen empfehlen kann: Verbringen Sie keine Zeit mit sinnlosem Zeug, mit sinnlosen Leuten und mit sinnlosen Tätigkeiten! Also, was man wirklich machen muss heutzutage, wo man angeblich so wenig Zeit hat – was ja nicht stimmt –, ist, seine Zeit zu ökonomisieren und Rückzugsmöglichkeiten zu haben. Das macht auch resilient.

Neugierig geworden? Der vollständige Beitrag samt Interview ist nachzulesen im KUCK-Magazin Ausgabe 56 oder kann hier direkt heruntergeladen werden.